Die meisten Stromkunden sind qualitätsorientiert oder passiv, nur ein Fünftel des Marktes ist sehr preisorientiert
Rund 5 Mio. private Haushalte haben in 2020 ihren Stromtarif gewechselt. Das sind 12 Prozent der 40,6 Mio. Haushalte in Deutschland. Rund 1,4 Mio. Haushalte (27% der Wechsler) haben einen Tarifwechsel beim selben Anbieter vorgenommen. Die Mehrheit mit 2,9 Mio. Wechslern (58%) hat einen Lieferantenwechsel getätigt und rund 700 Tsd. (14%) Personen haben zum ersten Mal einen Stromtarif für ihren Haushalt abgeschlossen. Von den Anbieterwechslern schließt ein Drittel (38%) ihren neuen Stromvertrag bei einem überregionalen Großanbieter ab. Regionale Stadtwerke werden zu einem Viertel (23%) wie auch günstige Online-Anbieter (24%) von den Anbieterwechslern gewählt. Weniger Anbieterwechsler (10%) schließen dagegen ihren Vertrag bei einem spezialisierten Ökostrom-Anbieter ab. Demnach gewinnen alle überregionalen Anbieter zusammen rund drei Viertel (77%) der Anbieterwechsler für sich auf Kosten von Marktanteilen von regionalen Stadt- und Gemeindewerken. Unter den Tarifwechslern beim bisherigen Anbieter dominieren die Regionalanbieter mit 44 Prozent, häufig mit Mehrwertangeboten. Das Wechselverhalten wird möglicherweise noch weiter zunehmen, denn in den nächsten 12 Monaten wollen immerhin 21 Prozent ihren Stromtarif wechseln. „Die Marktmacht der überregionalen Energieanbieter hat ihre Wirkung auf das Wechselverhalten im privaten Strommarkt voll entfaltet und wird auf absehbare Zeit weiter zunehmen“, kommentiert Dr. Oliver Gaedeke, Gründer und Geschäftsführer der Sirius Campus GmbH.
Dies sind die Ergebnisse der Sirius Campus Marktuntersuchung „Kundenmonitor Energiemarkt 2020“ mit 2.000 Interviews in einer haushaltsrepräsentativen Online-Befragung im September 2020.
Preisorientierung unter den Wechslern dominiert
Die Hälfte der Anbieterwechsler (49%) wählt einen sehr günstigen Tarif für ihren Stromverbrauch aus, ein Drittel dieser Gruppe (34%) erhält einen Neukunden-Bonus. So erleben die Anbieterwechsler ihren neuen Stromtarif mehrheitlich mit 62% als günstiger im Vergleich zum vorherigen Tarif. Die Stromvertragswechsler beim selben Anbieter schließen mehrheitlich (54%) einen etwa gleich teuren Tarif. Nur ein Viertel der Wechsler berichtet davon, einen Ökostromvertrag mit 100% Energiegewinnung aus regenerativen Energiequellen abgeschlossen zu haben. Mehrwertangebote werden mit jeweils unter 10 Prozent insgesamt selten abgeschlossen. Am häufigsten lassen sich Tarifwechsler beim selben Anbieter von solchen Rabattvorteilen bei regionalen Dienstleistern oder Händlern, einer Handwerker-Soforthilfe oder Energieeffizienzberatung oder Mobilitätsangeboten überzeugen. Auffällig ist die Wechselhäufigkeit, vor allem unter den preisorientierten Wechslern. Diese sogenannten Eigenständigen (Select Typen) mit einem sehr ausgeprägten Sparmotiv sind überproportional häufig unter aktuellen Wechslern vertreten. Sie wechseln ihren Stromtarif doppelt so häufigen: 2,1-mal in 10 Jahren (Marktdurchschnitt: 1,1). „Energieanbieter sollten sich nicht von der hohen Preisorientierung der Stromtarifwechsler blenden lassen. Die absolute Mehrheit des Marktes besteht aus qualitäts- und serviceorientierten oder einfach nur unsicheren Kunden, die einen Wechsel scheuen“, macht Dr. Oliver Gaedeke aufmerksam.
Zielgruppenorientierte Neukundengewinnung ist wirksamer
Der häufigste Anlass (52%) für einen Anbieterwechsel ist die Wahrnehmung eines Preisanstiegs, der dann die Kunden im ersten Schritt meist zu einem Vergleichsportal führt. Häufige Auslöser für einen Vertragswechsel beim selben Anbieter, die auch Energieanbieter für sich nutzen können, sind ein gestiegener Stromverbrauch (18%) oder die Durchführung einer energetischen Sanierung (13%). Von allen möglichen Kundenmerkmalen sagen der Entscheidungsstil, die Hauptmotive und Heuristiken, also Entscheidungsfaustformeln, das Wechselverhalten am besten vorher.
Auf Basis der Behavioral Economics Forschung über das Entscheidungsverhalten lassen sich vier prägnante Entscheidungsstile mit den Select Typen identifizieren: Danach nutzen die sehr treuen Partner, die einen Marktanteil von 15 Prozent ausmachen, hauptsächlich ihren regionalen Energieanbieter für eine Angebotsanfrage. Mit 32 Prozent stellen die Optimierer einen größeren Marktanteil dar. Sie sind zwar überdurchschnittlich wechselbereit, aber lassen sich durchaus von Mehrwertangeboten mit nicht-monetären Vorteilen gewinnen. Den größten Marktanteil mit 34 Prozent stellen die Vorsichtigen. Aufgrund ihrer Unsicherheit wechseln sie auch seltener und bevorzugen beim Wechsel genauso häufig eine Preisgarantie wie einen Preisvorteil. Nur ein Fünftel des Marktes (19%) stellen die sehr preisorientierten und wechselaffinen Eigenständigen dar. Sie informieren sich über neue Angebote fast ausschließlich bei Vergleichsportalen. Interessanterweise ist eine Ökostromorientierung in allen vier Kundentypen mit rund einem Fünftel etwas gleich stark vertreten. „Ein zielgruppenorientiertes Angebotsportfolio entlang der Select Typen bietet die Chance, die Take-Rate und Preisbereitschaft am Point-of-Sale zu optimieren. Denn soziodemographische Zielgruppen, so genannte Personas, oder eine Differenzierung über den Strommix laufen häufig ins Leere, da sie die entscheidungspsychologischen Wirkungsmechanismen missachten,“ gibt Dr. Oliver Gaedeke zu bedenken.
Sirius Campus veranstaltet am 22. Juni einen Online-Workshop, in welchem wir mit vorliegenden Erkenntnissen zum Thema energetische Sanierung ein Monitoring zur Klimawende entwickeln. Weitere Informationen zum Monitor zur Klimawende finden Sie hier.
Kontakt zur Untersuchung: Dr. Oliver Gaedeke (oliver.gaedeke@siriuscampus.de), Direkt: +49 (0) 152 38 24 66 40.