Entscheidertypen beim Versicherungsabschluss erkennen und richtig beraten
Mehr als ein Zehntel (12%) der Kfz-Versicherungsnehmer hat während der Wechselphase Ende 2018 unaufgefordert ein Rabattangebot von einem Innendienstmitarbeiter oder Versicherungsvertreter erhalten*. Bei treuen Kunden ohne Wechselabsichten war dieser Anteil sogar leicht höher (13%). Dies ist nicht nur eine Geldvernichtung für Versicherer und Vermittler, sondern macht eigentlich treue Kunden misstrauisch und unzufrieden. Eine neu entwickelte Entscheidertypologie für den Versicherungsmarkt erklärt dieses Phänomen anschaulich. Danach handeln Versicherungsnehmer beim Abschluss oder bei Wechselüberlegungen nach bestimmten Heuristiken, also gelernten Entscheidungsmustern. Tatsächlich sind mehr als die Hälfte aller Versicherungsnehmer bzw. rund zwei Drittel aller vermittlerbetreuten Kunden wenig bis gar nicht preisorientiert, sondern sicherheits- oder qualitätsorientiert.
Dies sind die Ergebnisse der Sirius Campus Marktuntersuchung „Entscheidertypologie im Versicherungsmarkt – Kundenentscheidungen mit Behavioral Economics vorhersagen“ mit 2.159 Interviews in einer repräsentativen Online-Befragung im Juni 2019.
Beim Versicherungsabschluss nutzen Kunden bestimmte Faustformeln
Der Versicherungsabschluss ist für alle Kunden sehr komplex. Um dennoch zu einer Entscheidung zu kommen, nutzen Menschen in solchen Situationen bestimmte Heuristiken, auch bekannt als Faustformeln. Sie orientieren sich hauptsächlich an einem beobachtbaren Aspekt aus der Vielzahl an Informationen in einer Entscheidungssituation.
Der Entscheidertyp „Partner“ (21% im Markt) fokussiert sich auf das Verhalten und die Beziehungsbereitschaft seines Vermittlers. Er stellt sich die Frage: „Ist er bereit, sich für mich ins Zeug zu legen und eine partnerschaftliche Beziehung einzugehen?“ Deswegen ist er der klassische Vertreterkunde und bringt diesem einen hohen Absicherungswunsch und eine hohe Anbündelungsbereitschaft mit. Rabattangebote und Preisargumente sind für ihn verstörend und können die Kundenbeziehung gefährden. Vielmehr gewinnen ihn Vermittler mit Premiumangeboten und hochwertigen Zusatzleistungen, die gerne auch etwas mehr kosten dürfen.
Der „Optimierer“ ist nur scheinbar preisorientiert, denn er fragt sich in jeder Beratungssituation: „Was springt für mich dabei heraus?“ Neben Preisnachlässen können auch andere Vorteile wie z. B. individuelle Anpassung oder exklusive Zusatzleistungen seinen Erfolgswunsch befriedigen. Er ist kompetent in Versicherungsfragen und erwartet vom Vermittler einen fachlichen Austausch auf Augenhöhe. Sein Optimierungswunsch erstreckt sich auch auf die Schadenregulierung, in der er Schadenverläufe vorteilhafter für sich darstellt. Er macht rund ein Viertel (27%) aller Versicherungsnehmer aus. Vor allem Bank- und Sparkassenvermittler sowie Versicherungsmakler können seinen Optimierungswunsch am besten befriedigen und ihn damit langfristig binden.
Der „Vorsichtige“ stellt mit rund einem Drittel (32%) die größte Gruppe im Markt dar und versucht hauptsächlich seine Unsicherheit in den Griff zu bekommen: „Wie kann ich sicher gehen, dass ich nicht über den Tisch gezogen werde?“. Deswegen vertraut der Vorsichtige sich häufig einem Vermittler an. Denn dieser kann ihm durch einfache und klare Ratschläge ein hohes Sicherheitsgefühl vermitteln. Nicht nachvollziehbare Preisnachlässe oder zu komplizierte Produkterläuterungen verunsichern dagegen den Vorsichtigen, da er Zweifel an der Produktqualität und Glaubwürdigkeit des Vermittlers bekommt.
Lediglich der „Eigenständige“ (20%) ist der im Kern preisorientierte Kundentyp. Er fragt sich: „Wo finde ich das günstigste Angebot im Markt?“. Er befriedigt sein dominantes Sparmotiv in der Regel bei Direktanbietern mit nachweislichen Preisvorteilen. Beim Versicherungsvertreter
oder -makler klopft dieser Entscheidertyp nur dann an die Tür, wenn er Versicherermarken mit einem Dauertiefpreis-Image erhalten kann.
Die auf Grundlage des Behavioral-Economics-Ansatzes entwickelte Entscheidertypologie bietet ein großes Potenzial für die Gestaltung von Angebotsportfolien und Beratungsprozessen. Was bisher dem Zufall oder der Intuition des Vermittlers überlassen wurde, kann nun systematisch für eine bessere Kundenberatung und höhere Wertschöpfung genutzt werden.
Langsamer Trend zugunsten des Eigenständigen
Der Versicherungsmarkt verändert sich nur langsam, da die Kauffrequenz und damit verbundenen Lernmöglichkeiten der Kunden sehr gering sind. Dennoch lässt sich ein steter Trend zu Gunsten des „Eigenständigen“ beobachten. Er nimmt auf Kosten der „Vorsichtigen“ und „Optimierer“ langsam zu. Dies ist auch ein Ergebnis der Digitalisierung und der damit verbundenen Selbstbedienungsmöglichkeiten. „Ein passendes Digitalangebot für online-affine Vertreterkunden muss den Trend der eigenständigen Entscheidungen bei vermeintlich einfachen Versicherungen auffangen. Nur so können bestimmte Marktsegmente auch in der Ausschließlichkeit gehalten werden“, rät Dr. Oliver Gaedeke den Ausschließlichkeitsversicherern.
Weitere Informationen zu dieser ca. 80-seitigen Marktuntersuchung mit einer umfänglichen Verhaltens- und Entscheidungsbeschreibung für den Gesamtmarkt, die Entscheidertypen und relevanten soziodemographischen Zielgruppen erhalten Sie unter folgendem Link Sirius Campus Untersuchung Entscheidertypen Behavioral Economics sowie bei Dr. Oliver Gaedeke (oliver.gaedeke@siriuscampus.de, 0152 38 24 66 40).
*Ergebnisse der 2018er Marktuntersuchung „Werthaltige Kfz-Versicherungskunden mit Künstlicher Intelligenz identifizieren“